Mit einer
Kurzgeschichtensammlung des bekannten japanischen Autors Ryonosuke
Akutagawa wird nach drei Jahren Pause die Reihe Shogun fortgesetzt.
In der
namensgebenden Story Rashomon schildert Akutagawa in eindringlicher
Weise die Verelendung vieler Samurai zu Ende der Heian-Zeit, als die
politische Macht von der Aristokratie auf den Schwertadel überging.
Dies brachte viele Unruhen und den Verfall der Hauptstadt mit sich.
Das Rashōmon war ein großes Tor im Süden von Heian-kyō, von dem
aus die Suzaku-Allee nach Norden direkt zum Kaiserpalast führte.
In Akutagawa
Ryūnosukes Geschichte zerfällt nicht nur die ganze Hauptstadt wie
das Tor, sondern auch die Moral der Bevölkerung, die sogar
Buddhastatuen zerschlägt, um Feuerholz verkaufen zu können. Ein
armer, aus seinem Dienst entlassener Diener sitzt unter dem Tor und
wartet darauf, dass es aufhört zu regnen. Er überlegt sich, dass er
bereit wäre, alles Mögliche zu tun, um zu überleben. In der
Hoffnung auf ein vom Wind geborgenes Plätzchen, an dem er in Ruhe
etwas schlafen könnte, begibt er sich ins Obergeschoss des Rashōmon,
obwohl er weiß, dass dort Leichen entsorgt werden. Umso erstaunter
ist er, als er ein Licht bemerkt. Er steigt ins obere Stockwerk
hinauf und sieht eine alte Frau, die die Haare von Leichen
herauszupft. Ihn überkommt ein Gefühl von Ekel und Abscheu und er
stellt sie zur Rede. Sie erklärt ihm, wenn sie nicht Haare für
Perücken sammle, könne sie nicht überleben. Die tote Frau, der sie
gerade die Haare herauszieht, habe aus Not vor kurzem noch
Schlangenfleisch als Fisch verkauft. Sie würde verstehen, dass sie
ihr die Haare nehmen müsse. Da es ums blanke Überleben ginge, sei
in ihrem Tun nichts Falsches zu finden. Der Diener hingegen raubt der
ja noch lebenden Alten ihren Kimono mit den Worten, dies sei, was er
tun müsse, um zu überleben, und flieht in die tiefe Nacht hinaus,
jedoch nicht ohne der sich an ihn klammernden Frau noch einen Tritt
zu verpassen, so dass sie auf die Leichen fällt.
„Drei Fenster“
entstand wenige Wochen vor Akutagawas Freitod im Juli 1927 und war
die letzte Erzählung, die zu seinen Lebzeiten erschien. In
eindringlichen Bildern und mit melancholischen Untertönen erzählt
der Text ganz im Stile des europäischen Naturalismus von
menschlichen Abgründen und scheinbar unausweichlichen und durch
Veranlagung und Umwelt schicksalhaft vorbestimmten Scheitern, von
Entfremdung und Verlorenheit, Der Mikrokosmos des Kriegsschiffes wird
zum Sinnbild eines militarisierten sozialen Gefüges, dessen
Funktionieren auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam beruht und in
dem das Individuum auf das sprichwörtliche „Rädchen im Getriebe“
reduziert wird. Auch das Kriegsschiff selbst aber ist ein beseeltes,
fühlendes und wie der Mensch demUntergang geweihtes Wesen.
Zum Zeitpunkt der
Niederschrift von „Drei Fenster“ stand Akutagawas Entschluss zum
Selbstmord schon lange fest. Ungeachtet des pessimistischen Grundtons
zeigt er sich jedoch auch in diesem späten Text als meisterhafter
Erzähler und ebenso intellektuell distanzierter wie psychologisch
präzise analysierender Beobachter.
Die längste
Erzählung und sicherlich Highlight des Bandes „Die Qualen der
Hölle“ spielt am Hof eines Fürsten: Yoshihide ist ein besonders
eigensinniger Maler, der vom Fürsten beauftragt wird, einen
Wandschirm mit einer Darstellung der Hölle zu bemalen. Yoshihide
kann jedoch nur malen, was er in Realität gesehen hat. So hat er
bereits verwesende Leichen am Objekt studiert und skizziert. Seine
Assistenten müssen einige Grausamkeiten erleiden, damit Yoshihide
ein naturgetreues Modell zu sehen bekommt. Währenddessen weilt seine
Tochter am Hof des Fürsten und bezaubert mit ihrem Wesen und ihrer
Schönheit. Als Yoshihide jedoch eine Schaffenskrise erleidet, wird
auch die Harmonie am Hof gestört.
„Der Christus von
Nanjing“ markiert einen Wendepunkt in Akutagawas Schaffen. Während
seine Werke bis zu jener Zeit zumeist Adaptionen und moderne
psychologische Interpretationen klassischer Vorlagen waren, spielt
die Erzählung in einem Freudenviertel der chinesischen Stadt Nanjing
und schildert mit hintergründiger Ironie die Geschichte von der
wundersamen Heilung einer an Syphilis erkrankten gläubigen
christlichen Prostituierten. Wenngleich noch immer surreale und
phantastische Momente die Handlung bestimmen und Realität und
Illusion sich vermischen, ist der Text Ausdruck einer Suche nach
neuen Formen des Erzählens, die Akutagawa schon bald zur
Ich-Erzählung führen sollte
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